Der Grund für den Erwerb dieses Paperbacks war ein ganz einfacher: Es war die Tatsache, dass Frank Quitely für die grafische Umsetzung verantwortlich war. Dieser schottische Künstler – ich habe seine geniale Zusammenarbeit mit Autor Grant Morrison in WE3 und X-Men buchstäblich aufgesogen – nimmt für mich eine besondere Stellung unter den Zeichnern von Superheldengeschichten ein.
Man mag zu ihm und seinen eigenwilligen Stil stehen, wie man möchte, aber für mich gibt es keinen besseren. Er vermischt das Franko-Belgische ideal mit dem Amerikanischen, lässt an den Stellen aus, wo die Vorstellungskraft des Lesers erfordert wird, ist an anderen Stellen so filigran, dass man wünschte, die Seiten würden über ein Din A 3 – Format verfügen. Und seine Figuren sind in ihrem Ausdruck so mehrdeutig angelegt, das sie so vieles über sich aussagen: eine über allem stehende Erhabenheit und Unnahbarkeit; aber auch einsam, schwach, ja kränklich sehen sie mitunter aus. Der Verfasser des Vorworts, ein gewisser Antonio Solinas, auf Seite -3- des vorliegenden Paperbacks ist offenbar ähnlicher Meinung und schreibt: Quitely beherrscht die perfekte Darstellung von Körpersprache und die ins Groteske gesteigerte Erhabenheit seiner Superheldenfiguren.
Nicht weniger europäisch ist übrigens die Handlung, die vom ebenfalls aus Schottland stammenden Autor Mark Millar alte Superheldenlegenden (z.B. aus DC und Marvel) mit aktueller Welt- und Gesellschaftspolitik vermengt und dabei kräftig in den kränkelnden Stellen unserer modernen, medienorientierten Gesellschaft bohrt. Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen die Geschwister Brandon und Chloe, die Abkömmlinge von zwei mit Superkräften ausgestatteten Eltern, welche schon seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts für Recht und Ordnung auf der Erde sorgen. Chloe und Brandon, ebenfalls mit ähnlichen Kräften wie ihrer Erzeuger gesegnet, haben es jedoch nie geschafft, aus deren großen Schatten herauszutreten. Sie sind im Grunde nur ein ziemlich talentfreies, drogenabhängiges It-Girl und ein fauler, selbstverliebter Frauenheld, die vom Namen ihrer Eltern und Werbeverträgen leben und im Grunde nur die Boulevardpresse in Atem halten. Doch was die Eltern früher mit ihren Superkräften erledigen konnten, scheint in unserer modernen Welt auf einmal nicht mehr zu klappen und das gute alte Schwarz-Weiß-Denken und – Handeln wird immer wirkungsloser. Die alten Schurken haben sich längst aufs Altenteil zurückgezogen, Weltwirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und daraus resultierende soziale Unruhen werden zu schier unlösbare Krisen. Die alte Generation der Superhelden spaltet sich auf. Und ein Teil dieser alten Recken sieht nur in einer neuen, faschistoiden Gesellschaftsform eine Lösung dieser neuen Probleme.
Millar schreibt diese Geschichte spannend und trotz drei vorhandenen Zeitebenen, die geistreich miteinander harmonieren, sehr schnörkellos. Jupiter’s Legacy ist voller unvorhersehbarer Ereignisse, Schockeffekte und Wendungen, die einen immer wieder zum Staunen bringen. Es ist schon verdammt lange her, seit ich mich bei einer Superheldengeschichte so unterhalten und gepackt gefühlt habe. Für mich die absolute Comicüberraschung 2016 im Genre der Superhelden. Dieses Paperback enthält auf -136- Seiten die ersten fünf US-Heftausgaben der gleichnamigen Serie.
Fazit: Der Geist amerikanischer Superheldencomics in einem wirklich ansehnlichem, europäischen Gewand gehüllt.