Text und Zeichnungen: Oliver Grajewski
Während eines Besuchs bei seinen Eltern in Schleswig-Holstein entdeckt Oliver in einer Schlafzimmerkommode einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1983, in dem ein Foto von einem seltsamen Vogelwesen abgebildet ist. Neugierig geworden, macht sich der Mittvierziger auf den Weg in das nahegelegene Moor. Tief im ausgedehnten und kaum zugänglichen Fehngebiet trifft er nicht nur auf eine Siedlung von zurückgezogen lebenden Moorbewohnern, sondern auch auf die fremdartigen Vogelwesen, sowie auf einen maskierten Mann mit dem Namen „Weißer Alp“. Bald hat Oliver auch den Grund dieser Erscheinungen erkannt: Bruchstückhaft setzen sich mit der Entdeckung von immer mehr Geheimnissen auch die Erinnerung an Jugenderlebnissen zusammen. Oliver – und der Leser – erkennen, dass Ursache und Wirkung für die Vorgänge im Moor in dem Bau der AKWs zu suchen sind, die in den 70er und 80er Jahren in Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel ans Netz gegangen sind.
Auf dem ersten Blick ist der Inhalt dieser -352- Seiten dicken Erzählung in Comicform eine fantastische Spukgeschichte mit Elementen aus dem Subgenre Ökohorror. Je tiefer man jedoch in die Story eindringt, desto mehr wird sie zu einer Kritik an die herrschende Ordnung. Doch dazu später mehr.
Der Autor Oliver Grajewski wendet bei dieser Geschichte mit autobiografischen Bezügen unterschiedliche Werkzeuge an und bedient sich verschiedener Zeichenstile. Korrespondierend mit der jeweiligen Entwicklung, mit Figuren und Stimmungen werden die Zeichenmittel geändert. Tuschzeichnungen wechseln sich mit Bleistiftzeichnungen oder Computergrafiken ab, ruhige Landschaftsimpressionen werden auf dem nächsten Panel zu unruhigen, surrealen Krakeleien, so dass collagenähnliche, spannende Seitenkonstruktionen entstehen. Dabei gelingt sogar die Darstellung der (unsichtbaren) radioaktiven Strahlung, die sich immer wieder unheimlich in den Bildkompositionen zeigt.
Es ist gewiss kein Kinderspiel, alles abschließend zu verstehen, zu sehr wird das interessierte Auge des Lesers dafür gefordert. Vieles bleibt unverstanden, regt dafür aber umso mehr für eigene Interpretationen dieser expressiven Illustration an. Der bleibende Rest an unbeantworteten Fragen sollte dann jenem Quäntchen Unergründlichkeit geschuldet sein, das zu jedem Kunstwerk gehört.
Zu entdecken gibt es trotzdem eine Menge an versteckten und offenen Hinweisen zu einer Zeit, deren Geist heutzutage – und über 30 Jahre später – längst überholt scheint, aber bei denen, die sie mitgemacht haben, bis heute nachhallt: Pink Floyd und Metallica, Renault R 4 als Monteurwagen von Handwerkern, Aufnahme von Musik mit Micro direkt von der Musikbox, Tigerboyschuhe, Kassettenrecorder am Fahrradlenker, Barschel in der Badewanne etc.
Die Schwächen dieses Werks sehe ich hingegen in den Dialogen, die gerade in Anbetracht der vielschichtigen grafischen Umsetzung mitunter ein wenig zu banal daherkommen. Etwas zu dick aufgetragen ist dann am Ende auch der Versuch einer Gesellschafts- und Sozialkritik am herrschenden System in Form eines Dialogs in einem Zugabteil. Dieser liest sich wie auswendig gelernte Lehrsätze aus einem angestaubten Manifest von Marx oder Lenin, wobei die Figuren als gegenseitige Stichwortgeber für undifferenzierte Wortwechsel fungieren. Mir hätten der Plot, sowie die ambitionierte Bildende Kunst durchaus für eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft ausgereicht. Hier wäre weniger wohl Mehr gewesen.
Fazit: Geeignet für Leser, die noch nicht wussten, dass Mutanten nicht nur in der 1407 Graymalkin Lane, Salem Center/Westchester/USA wohnen, sondern auch in Itzehoe, sowie für die Leser, die schon immer wussten, dass AKWs einfach große Sch … sind.
Etwas mehr zu dem Künstler, den ich in Erlangen traf, hier: www.comicguide.net/showthread.php?t=35418