Gastautor michidiers hat wieder eine neue Rezension verfasst, diesmal bereits zum sechsten Mal über die „Before Watchmen“-Reihe:
Es gibt Filme, Bücher oder Theateraufführungen, die ich schaue und schon am nächsten Tag vergessen habe. Manchmal aber kann es jedoch passieren, dass ich mich auch noch nach einmal Schlafen mit dem konsumierten Werk innerlich, ja fast unbewusst beschäftige, so dass es am Tag darauf noch allgegenwärtig ist. Diese beiden Konstellationen sind für mich bei Comics immer ein klarer Indikator dafür, ob ich eine wirklich gute Geschichte gelesen habe, oder nicht. Bei Before Watchmen – Silk Spectre war Ersteres endlich einmal wieder der Fall.
Dabei ist die Handlung der Geschichte eigentlich schnell erzählt. Los Angeles im Jahre 1966: Nach einem Streit mit ihrer dominanten und gleichzeitig überängstlichen Mutter (eine ehemalige Superheldin) büchst die heranwachsende Laurie Juspeczyk von zu Hause aus. Mit Ihrem Freund Greg verbringt sie einen Sommer voller neuer Liebe, Drogen und neuer Erfahrungen im Zentrum der Hippiebewegung in San Franzisko. Doch der lange Schatten der Mutter reicht auch bis dort. Und schon bald erlebt sie eine folgenschwere Erfahrung, die sie letztendlich zu dem werden lässt, was sie knapp zwanzig Jahre später in Alan Moores Meisterwerk „Watchmen“ darstellen wird: Silk Spectre.
Ein Prequel zu einem wegweisenden Werk zu schreiben, ist ganz gewiss eine der größten Herausforderungen, die sich Comickünstler stellen können. Darwin Cooke hat sich dieser schon bei The Minutemen gestellt und sie als Autor und Zeichner bravourös gemeistert. Hier bekommt er gleich zweifach Unterstützung von Amanda Connor, der für mich heimliche „Star“ dieser Serie. Die ehemalige Werbegrafikerin fertigte nicht nur die Zeichnungen, sondern nach und nach auch brachte sie sich auch immer stärker mit in die Handlung ein.
Und wer kann wohl besser eine Story über eine junge Frau darstellen, als eine Frau? Die in faszinierenden Bildern von schlichter Klarheit und gleichzeitig bezaubernder Vieldeutigkeit erzählte Geschichte war auf mich mitunter so intensiv, dass ich meinte, Amanda Conner hatte alles selbst erlebt und zeichnet ihre Biografie. Mit klarer zeichnerischer Aussage vermeidet sie dabei zu viele Spielerei in der Panelaufteilung, investiert ihre außergewöhnlichen Ideen dafür lieber in die vielen eingestreuten Details innerhalb der Panels, erzählt so kleine Minigeschichten innerhalb der Geschichte. Ich hoffe, dass ich von der Künstlerin in Zukunft noch mehr lesen und sehen darf.
Schade nur, dass diese Miniserie mit vier Heften etwas kurz geraten ist. Aber dafür initiiert das Künstlerteam Cooke/Conner ein intensives Comicerlebnis aus der Vorzeit der Watchmen, welches am Ende dann auch inhaltlich mit Moores Meisterwerk überlappt, weist dabei auf die kommenden Ereignisse hin.
Fazit: Dies ist keine Superheldengeschichte, sondern es wird eine faszinierende Story über eine Heranwachsende auf der Suche nach sich selbst und ihre Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden erzählt. Eine Geschichte aus dem wahren Leben, in der sich sicher einige weibliche Leser, aber auch so manche um ihre Tochter besorgte Mutter wiederfinden kann.