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Flughunde: Graphic Novel – Rezension

Diese Graphic Novel der österreichischen Künstlerin Ulli Lust nach dem gleichnamigen Roman von Marcel Beyer erzählt die Geschichte von Herrn Karnau, ein fanatischer Akustiker im Dienste der Nazis gegen Ende des zweiten Weltkriegs. Es ist aber auch die Geschichte von Helga, der ältesten Tochter des damaligen Reichspropagandaministers Josef Goebbels. Während Karnau die Instrumentalisierung der Sprache durch die Propaganda und die Erforschung der menschlichen Stimme mit grausamen Experimenten vorantreibt, verlebt Helga Göbbels eine anfangs noch unbeschwerte Kindheit. Doch spätestens im April 1945 erreicht der Krieg auch ihre Kindheitsidylle.

Lügen, Falschheit, Heucheleien und Unwahrheiten: das waren die „soften“ Grundpfeiler der Nazidiktatur, hauptsächlich initiiert durch Josef Göbbels als Propagandaminister mit Hilfe seiner Frau Magda Göbbels. Und wer ein ganzes Volk verführen kann, der macht es auch im Kleinen, sprich innnerhalb der Familie. Wie reagieren also Kinder, die nach und nach entdecken, dass die Welt um sie herum ein großes Lügengebäude ist und sie auf einen tragischen Untergang zusteuern?

Parallel dazu wird die Geschichte aus der Sicht von Herrn Karnau erzählt, ein typischer Technokrat mit einem „absoluten Gehör“ in den Diensten der Nazis. Karnau ist eigentlich ein freundlicher und hilfsbereiter Mann, dem man sich blind anvertrauen könnte und der vor allem zu Helga Göbbels ein freundschaftliches Verhältnis aufbaut. Doch hinter dieser netten Fassade steht ein grausamer, emotionsloser Scherge, der an hilflosen Häftlingen bestialische Akustikexperimente durchführt.
Beide Handlungsfäden überschneiden sich im Laufe der Geschichte immer mehr und finden im Bunker der Berliner Reichskanzlei schließlich ihr fatales Ende.

Man sollte sich schon darauf einstellen, hier eine verdammt unverdauliche Comickost vorgesetzt zu bekommen: verzerrte Geräusche und Bilder, beängstigende Stimmungen und subjektive Texte prasseln auf den Leser ein und wirken noch ziemlich lange nach. Besonders bedrückend ist dabei der reale Hintergrund, vor dem die Doppelgeschichte gestellt wird: sechs unschuldige Kinder, die am Ende von ihrer Mutter ermordet werden, und deren heile Welt in einer beängstigende Endzeit-Atmosphäre im Bunker unter der Reichskanzlei endet. Karnaus Geschichte endet hingegen erst in den 90er Jahren, und erst dann, als zufällig bei Bauarbeiten im Berliner Untergrund noch weitere Kellergewölbe der Nazis entdeckt werden…

Fazit: Ein vielschichtiger Comicroman, der mit einfachen Bildern und Texten echte Angst macht, geeignet für jeden, der im Absatz eins und zwei keine vermeintlichen Spoiler zu entdecken meint.
Autor: michidiers, Oldenburg

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